Die "armen" Küche
Trotz dieses Reichtums war Friaul die längste Zeit seiner Geschichte eine arme Region, eine von den Mächtigen nicht wirklich geliebte Schleuse zwischen dem mächtigen Norden und dem pompösen Süden, zwischen Kaiser und Papst, zwischen Apfel- und Zitronenblüte.
Die friulanische Küche verdankt ihre Inspirationen, obwohl das Land zu den reichsten Regionen Italiens zählt, bis heute dieser „armen Küche“. Rüben, Bohnen, Sauerkraut, Gerste, Buchweizen, Mais und Reis prägen den Speisezettel im Landesinneren, während an den Küsten eine Meeresküche aus Sardinen, Sardellen und allerlei Meeresgetier zu finden ist, das einst den Fischern als billiger „ Beifang“ für die dürftig gedeckte Tafel blieb - heute, in den Zeiten der Überfischung der Meere, sind längst teure Delikatessen daraus geworden.
Die friulanische Fleischküche ist, wenn man von „Schlachtabfällen“ wie Kutteln, Innereien und Schlackwürsten absieht, keine Alltags-, sondern eine Festtagsküche, die gerne über dem offenem Feuer des „Fogolar“ genannten Kamins grillt und große Bratenstücke von Schwein und Rind ebenso liebt wie Perlhühner, Enten, Gänse und Kleingeflügel von der Wachtel über das Rebhuhn bis zur Taube.
Wie fast alle Gebirgsbewohner liebt der Friulaner die Suppe. Sie erscheint von der Bohnen- bis zur Fischsuppe und von der Gemüse- bis zur Nudelsuppe in vielerlei Variationen, die allesamt gemeinsam haben, dass eine Suppe hier nur selten eine Vorspeise, sondern aufgrund ihrer Kraft und Deftigkeit durchaus ein Hauptgericht ist.
Als Vorspeise und Zwischengerichte dienen eher die hier auch „Cicheti“ genannten Antipasti-Happen, wie sie sich in allen Osteria-Vitrinen finden, um von dort aus die „ombra“, das kleine, „Schatten“ genannte Gläschen Wein zu begleiten, dem so lange ein weiteres folgt, bis der Schatten zuletzt ganz schön lang wird. Viele solcher Bissen ergeben übrigens einen „ Giardinetto“, der sich aus Antipasti, aber auch aus Innereien oder Süßigkeiten zusammen stellen lässt und ein veritabler „Garten der Lüste“ sein kann.
Für Friaul und Julisch Venetien ist jedoch nicht nur ein ganz bestimmter Kochstil der „ Cucina Povera“ typisch, sondern es werden auch zahlreiche landwirtschaftliche und regionstypische Produkte damit verbunden. Der Bogen reicht von Käsespezialitäten wie dem nach dem über 2700 hohen Jof Montasio benannten Montasio und dem berühmten Räucherricotta bis zu den berühmten friulanischen Würsten, deren genaue Kenntnis selbst unter Kennern als „ Geheimwissenschaft“ gilt und sich keinesfalls auf unterschiedliche Salamis beschränkt. Das Wurstbrät, marcundela genannt, kann, ähnlich wie bei den Kärntner Maischalan, aus Nieren, Leber, Herz, Lunge, Milz, Geschlinge und Fett bestehen, die in einen Naturdarm ab gefüllt werden. Muset wiederum nennt man die dem norditalienischen „Cotechino“ sehr ähnliche Schlackwurst, die hier „co le brovade“, nämlich mit fermentierten weißen Rüben gegessen wird.
Typische friulanische Gemüse sind auch der weiße Spargel, der im Treibhaus angebaute Zwergradicchio aus Görz. Wenig bekannt ist auch, dass im Karstumland von Triest, vor allem in den Ortschaften San Dorligo di Valle und Muggia, ein köstliches natives Olivenöl gewonnen wird.
Triest, das aufgrund seiner langen Geschichte als einziger Hafen der Donaumonarchie auch ein besonderes Naheverhältnis mit Wien und der Wiener Küche vom „Goulash“ über das „Caiserfleish“ bis zum „Liptauer triestino“ verbindet, ist auch das Zentrum der friulanischen Kaffeehaus- und Mehlspeiskultur. Hier findet man die süße friulanische „Gubana“ ebenso wie deren slowenische Schwester, die „Putizza“, Triest gilt aber auch als Hochburg süßer und saurer Strudelspezialitäten, und der Karneval im benachbarten Muggia wäre ohne die mit den Wiener Faschingskrapfen eng verwandten „Frittole“ undenkbar.
Bleibt neben der Triestiner Küche noch eine andere kulinarische Enklave in Friaul zu erwähnen. Die Rede ist von Carnia, dem so genannten Karn, einer kargen Gebirgsregion im Norden Friauls, die Jahrhunderte lang vom Kontakt mit der italienischen Umwelt abgeschnitten war und in denen die Menschen bis heute einen auf das Mittelhochdeutsche zurückreichenden Dialekt sprechen. Ebenso autochthon wie diese Dialekte sind die Speisen, die sich zwischen Sauris und Timavo erhalten haben. Die berühmtesten davon sind vielleicht die „Cjalconz“ — Nudelteigtaschen mit einer süß-sauren Füllung aus gekochten Kartoffeln, Butter, Zwiebel, Zimt, Zucker, Rosinen, Petersilie, Minze, Zitronenschale und Eiern, die mit zerlassener Butter und geriebenem Räucherricotta serviert werden. Ob Cjalconz nun eigentlich zu den Primi Piatti oder zu den Dolci gehören, das ist freilich eine Frage, auf die niemand so genau eine Antwort weiß — wie auf so viele Geheimnisse der friulanischen Küche.
UND WAS MAN DAZU IM FRIAUL TRINKT
Wein: Das Mutterland der autochthonen Rebsorten
In Friaul - Julisch Venetien war der Weinstock schon um 1000 v. Chr. bekannt, und schon Plinius der Ältere (23-79 n. Chr.) schwärmte in seiner Naturgeschichte von einem Wein, „der an der Quelle des Timavo, wo die Meeresbrise wenige Amphoren reifen lässt“ und die Menschen, die ihn tranken, besonders alt werden ließ.
Heute zählen friulanische Weinbauern wie Jerman, Gravner, Radikon, Keber, Kante, Dorigo, Abbazzia di Rossazza, Zamo, Villa Russiz u.v.a., auch international betrachtet, zu den angesehensten der Welt. Die berühmtesten Weinbaugebiete sind der Collio, die Colli orientali del Friuli, der Karst und das Mündungsgebiet des Isonzo.
Die Friulaner Weinmacher spezialisieren sich einerseits auf klassische internationale Sorten wie Pinot bianco, Malvasia, Chardonnay, Merlot, Cabernet bzw. Cabernet franc und Pinot nero, sind aber andererseits auch für eine wahre Fülle an autochthonen Rebsorten wie den süffigen Weißweinen Ribolla gialla, Tócai friulano (hat nichts mit dem süßen Tokajer zu tun) oder Vitovska, den ausdrucksstarken Rotweinsorten Pignolo, Schiopettino oder Refosco dal peduncolo rosso ("mit dem roten Stiel") und Terrano sowie den Süßweinen Picolit, Verduzzo friulano und Ramandolo bekannt.
Grappa: Vom Arme-Leute-Schnaps zum Luxusgut
Neben dem Veneto gilt Friaul-Julisch Venetien als das eigentliche Mutterland jenes Tresterbranntweins, der mittlerweile als „Modegetränk“ ganz Italien und von dort aus die ganze Welt erobert hat. Grappa verdankt seinen Namen übrigens keineswegs, wie immer wieder behauptet, dem Monte di Grappa, dem Hausberg der für ihre Tresterbrände berühmten venezianischen Gebirgsstadt Bassano, sondern der schlichten Tatsache, dass das italienische Wörtchen „grappa“ auf deutsch Traube bedeutet und in verschiedenen Dialekten auch als "gràpo", "rappe" oder "graspa" bekannt ist.
Dass Grappa, ursprünglich ein „Arme-Leute-Schnaps“, den man, um den Blicken gieriger Steuerfahnder zu entgehen, am liebsten bei Mondschein brannte, mittlerweile eine anerkannte Spirituose höchster Qualität geworden ist, verdankt er nicht zuletzt weltbekannten friulanischen Destillerien wie Domenis in Cividale del Friuli oder Nonino in Percoto bei Udine, die als erste einen Grappa der Edelsüßweinsorte Picolit auf den Markt brachte.
Kurzum: Grappa ist vom Bauernschnaps zum „urbanen“ Getränk geworden. Die Zeiten, in denen jeder Wirt nach dem Essen einfach eine Flasche Grappa zur freien Entnahme auf den Tisch gestellt hat, gehören damit leider weitgehend der Vergangenheit an. Dafür ist die Qualität des friulanischen Grappa, seit man ihn auch (oft sogar hoch) bezahlen muss, definitiv wesentlich besser geworden.