Die Entstehung des Allerheiligenstriezels
Fest steht, dass die geflochtene Form des Striezels an sich ihren Ursprung in alten Trauerkulturen hat, als man beispielsweise Witwen deren Zöpfe abschnitt, um sie als Grabbeigabe den verstorbenen Gatten "mit auf den Weg" zu geben: In vielen Kulturen galt das Symbol eines geflochtenen oder geknüpften Zopfes nämlich seit jeher als Schutz gegen dämonische Mächte. Die ersten Hinweise auf "Striezel" finden sich Ende des 17. Jahrhunderts im oberösterreichischen "Nachrichtenbuech": Hier ist bereits die Rede von einem "Heiligenstriezel" in einfacher Form, unter anderem aus Weizen, Eiern und Honig hergestellt. Sucht man allerdings nach allerersten "wortwörtlichen" Erwähnungen eines "Allerheiligenstriezels", wird man erst im Laufe des 18. Jahrhunderts fündig. Zu dieser Zeit schrieb der österreichische Sprachforscher Johann Siegmund Valentin Popowitsch (1705 – 1774):
Allerheiligenstrüzel heißen im Österreichischen oben und unten zugespitzte, in der Mitte breite gebrochene Wecken, welche am Vorabend von Allerheiligen gebacken werden.
Allerdings gilt als gesichert, dass Allerheiligengebäck in anderer Form (und unter anderem Namen) hierzulande sehr wohl bereits zuvor existierte. Schon der Umstand, dass die Striezelform sich bald nach ihrer Entstehung sehr rasch auf Kosten altgedienter Gebäckformen, wie beispielsweise dem Wecken und dem Laib, verbreiten sollte, untermauert diese Beobachtung: So ist unter anderem belegt, dass der Name "Allerheiligenstriezel" die zuvor gebräuchliche Bezeichnung "Allerheiligenlaib" weitestgehend verdrängte. Die Tatsache, dass das Verschenken von "Heiligenstriezeln" anlässlich Allerheiligen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in der Zeitung "Der Oesterreichische Zuschauer" als "uralte Wiener Sitte" beschrieben wird, bestätigt diese Annahme vollends:
Charakteristisch ist für die Österreicher, besonders für die Wiener, die uralte Sitte, sich am Tag aller Heiligen mit einem zopfartigen geflochtenen Weißbrot, dem sogenannten Heiligenstriezel, zu beschenken.
Seit dem 19. Jahrhundert kennt man für den Allerheiligenstriezel diverse, regionale Formen und Bezeichnungen, so unter anderem:
- Sechswochenwecken
- Krotten
- Pfemmatl
- Allerheiligen-Laibl (Mühlviertel)
- Himmelsleiter (Kirchdorf a. d. Krems)
Der heutige, traditionelle Allerheiligenstriezel besteht aus vier bis sechs zu einem Zopf geflochtenen Germteigsträngen und wird, je nach Geschmack, mit Hagelzucker, Rosinen und Mandeln verfeinert.
Übrigens: Im Osten Österreichs ist die Bezeichnung "Striezel" üblich, im Westen des Landes, in Bayern und der Schweiz ist hingegen der Begriff "Zopf" gebräuchlicher.
Traditionen & Bräuche
Tatsächlich ist bis zum Jahre 1756 für Wien bezeugt, dass diese Gebildebrote teilweise sogar vergoldet (!) wurden. Prinzipiell war der Allerheiligenstriezel früher aber ein "Armenbrot": Laut altem Volksglauben sollte in der Allerseelenwoche den "armen Seelen" mittels intensiver Gebete und guter Taten der Hinterbliebenen ermöglicht werden, vorübergehend aus dem Fegefeuer aufzusteigen, um sich von ihren Qualen erholen zu können. Stellvertretend für die Verstorbenen wurde an Allerheiligen und Allerseelen daher der Allerheiligenstriezel an Kinder und Mittellose verteilt, mit der Bitte, für die Toten zu beten. Bis 1900 war es zudem Brauch, dass der Bäcker am Feiertag seine Kunden mit einem Heiligenstriezel beschenkte.
Im Laufe der Zeit haben sich, je nach Region, zahlreiche andere Brauchtümer im Zusammenhang mit Allerheiligen und dem dazugehörigen Brauchtumsgebäck entwickelt. Hier ein kleiner Auszug:
- Früher war Allerheiligen (und ist es in vielen, ländlichen Regionen bis heute!) der sogenannte "Godntag": Hier beschenkten die Paten ihre Patenkinder als "Godnsach"(Patengeschenk) mit einem Allerheiligenstriezel. Zum einen war dieser selbstverständlich als süße Zuwendung gedacht, zum anderen sollte er die Patenkinder aber auch an die Heiligen, an das Leben und an den Tod erinnern. Meinten es die "Godn" mit ihren Patenkindern besonders gut, buken sie in den Allerheiligenstriezel zusätzlich eine Silbermünze mit ein.
- Im Burgenland wurde dem Allerheiligenstriezel als sogenannter "Verehrerstriezel" die Rolle einer Liebesgabe zuteil: Am Vorabend von Allerheiligen kauften die Burschen in der Bäckerei einen Allerheiligenstriezel, welchen sie tags darauf ihren Herzensfräuleins schenkten.
- Umgekehrt handhabten dies wiederum die steirischen Nachbarn: Hier ergriffen die jungen Damen die Initiative, indem sie die auserkorenen Burschen ihren "Heiligenstritzl" anschneiden und verkosten ließen – schnitt der Auserwählte ein besonders großes Stück des Striezels ab, galt das als angenommene Liebeserklärung.
- Für den Raum Niederösterreich sind bis ins Jahr 1939 hinein diverse Bräuche, vor allem sogenannte „Heischebräuche“, im Zusammenhang mit dem Allerheiligenstriezel überliefert: Unter anderem die "Stritzlbettler" oder die sogenannten "Heilinggeher", welche jammernd umher wanderten und vor Bauernhäusern um Gaben – nämlich Heiligenstriezel – bettelten.
- Beim "Striezelpaschen" im Weinviertel wiederum wurde im Wirtshaus um den Allerheiligenstriezel gewürfelt; auch war es in dieser Region Niederösterreichs üblich, die rohen Allerheiligenstriezel-Teiglinge mit Strohbändern als Winterschutz auf Obstbäume zu binden.
Allerdings: Allerheiligen wird nicht nur hier, in Österreich, gefeiert! Auf der ganzen Welt haben sich rund um Allerheiligen & Allerseelen im Laufe der Geschichte zahlreiche, einzigartige Bräuche, Traditionen und dazugehöriges Brauchtumsgebäck entwickelt. Lesen Sie hier mehr!